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Proposal: Strukturfonds
für kritische Bildungsinfrastruktur

Abstract: Open Source Software ist für gute, d.h. digital-unterstützte Lehre an deutschen Bildungseinrichtungen unver­zichtbar. Eine verlässliche Finanzierung der ­­­ver­schi­e­denen Open Source Tools für die Lehre muss ­sicher­­gestellt werden, um Digitale Souveränität sicher­zustellen. Daher braucht es einen Strukturfonds für die nachhaltige Finanzierung dieser kritischen Bildungsinfra­struktur.

Die deutsche Bildungslandschaft an Hochschulen ist durch ein besonderes Herausstellungsmerkmal gekennzeichnet: Sie entwickelt einen sehr großen Teil der Software, die alltäglich im Einsatz ist, selbst oder nutzt offene Software (Open Source Software, OSS). Fast alles, was hier einmal geschaffen wird, steht wenig später allen Hochschulen zur Nutzung zur Verfügung. Damit wird eine der zentralen Prämissen der Hochschullehre adressiert: die (Wahl)-Freiheit von Anwendungen für Lehrende, Studierende und Mitarbeitende in zentralen Einrichtungen. Die Genese dieser Open-Source-Landschaft ist ganz überwiegend mittels staatlicher Finanzierung gelungen und sie stellt ein digitales Öffentliches Gut dar, das dem Gemeinwesen im Bildungsbereich dient.

Die Stärke der Hochschulen gründet sich unter anderem auf ihre Kreativität, Experimentierfreude und Innovationsbereitschaft. Durch rigide, proprietäre Software-Architekturen droht diese Stärke der Hochschulen erheblich beschränkt zu werden. Dagegen ermöglichen es offene Softwarelösungen für die digitale Lehre, Inhalte zu erstellen und zu teilen sowie Prüfungen durchzuführen. Der große Vorteil dabei ist, dass die OSS-Anwendungen bereits auf die spezifischen Bedürfnisse der deutschen Hochschulen zugeschnitten sind. 

In den vergangenen 20 Jahren wurden durchweg Open Source Plattformen und damit verbundene Communities geschaffen, die für den Bereich der digitalen Bildung inzwischen zu einer nicht mehr wegzudenkenden kritischen Infrastruktur geworden sind. Plattformen wie ILIAS, Stud.IP, Opencast und OERsi sind vollständig oder zu großen Teilen an deutschen Hochschulen konzipiert und programmiert worden. Weitere stark an Hochschulen genutzte Software wie Moodle, Open OLAT oder Big Blue Button profitiert davon, dass deutsche Bildungseinrichtungen in diese Produkte investieren. Über 90 Prozent der Hochschulen setzen eines oder sogar mehrere dieser Produkte ein, im Bereich der LMS sind es sogar 100 Prozent1. So verlassen sich mehrere Millionen Studierende täglich darauf, diese uneingeschränkt nutzen zu können. 

Entscheidend sind diese Plattformen darüber hinaus auch für die Erstellung, Verbreitung und Erschließung offener Bildungsmaterialien (OER). Mit diesen lassen sich Lehr- und Lernmaterialien kostenlos nutzen, an die eigenen Bedarfe anpassen und weiterverbreiten. Der Zugang zu Bildung wird durch OER erheblich vereinfacht und auch unabhängig von formalen Bildungsprogrammen ist ein lebenslanges Lernen möglich. Durch den freien Zugang können Materialien effektiv hinsichtlich ihrer Qualität überprüft werden. Dabei gehen die Entwicklung von OER und OSS Hand in Hand, indem
z.B. Schnittstellen für die Suche und das Speichern von OER-Materialien direkt in Lernplattformen
wie Moodle, Stud.IP oder ILIAS integriert werden
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Diese Open-Source-Landschaft hat den Vorteil, dass die Softwarelösungen von den Einrichtungen entweder allein oder in Verbünden eigenständig betrieben werden können. Abhängigkeiten von Miet- oder Jahreslizenzen, deren Bedingungen sich schnell ändern können, existieren nicht, da Lizenzkosten gar nicht erst anfallen. Und die Frage, welche Funktionen in neue Softwareversionen aufgenommen werden sollen oder gar wegfallen, wird nicht von Produktmanager:innen getroffen, die den Markt der deutschen Bildungseinrichtungen gar nicht im Detail im Blick haben, sondern von den Hochschulen selbst.

Mit gestiegenen Anforderungen an Software-Lösungen entsteht allerdings auch eine Anspruchshaltung, die einen Druck erzeugt, der aktuell ungleich verteilt ist. So müssen die Entwickler:innen in den entsprechenden Communities und den Strukturen, die in der Regel von den Hochschulen parallel zum Tagesgeschäft getragen werden, mit den aktuellen Anforderungen Schritt halten. Hier gilt es nun, die Open-Source-Communities zu stärken, damit diese aktuellen Anforderungen gerecht werden können. Um nachhaltig Wirksamkeit aufzubauen, ist eine stabile, arbeitsteilige Struktur zu schaffen und länderübergreifend und dauerhaft in diese zu investieren. Da Open-Source-Software ihrem Grundsatz nach nur gemeinschaftlich entwickelt werden kann, stößt der Föderalismus hier an seine Grenzen. Die Communities sind ohnehin bereits hochschul- und länderübergreifend aufgestellt und in entsprechenden Strukturen organisiert. Auch der Wissenschaftsrat plädiert in seinen Empfehlungen zur Digitalisierung in Lehre und Studium für eine derartige länderübergreifende Infrastruktur, um sichere und verlässliche Technik bereitzustellen und Kooperationen zu nutzen. In den Empfehlungen wird auf die großen Potenziale der Digitalisierung zur Qualitätsverbesserung und Flexibilisierung der Lehre eingegangen und dafür die Rolle von verteilter IT-Infrastruktur und OER stark gemacht. 

Die zentrale Herausforderung ist, dass Softwareentwicklung stets aus einzelnen Teilprojekten besteht, die im Open-Source-Bereich in der Regel einzeln organisiert und finanziert werden müssen. Aktuelle Anforderungen, die derzeit umgesetzt werden müssen, sind unter anderem:

  • Interoperabilität der Plattformen, etwa im Rahmen des Online-Zugangsgesetzes,
    OZG und zur besseren Erschließung von OER,
  • eine Schnittstelle zwischen den Plattformen und dem nationalen Bildungsraum,
    um Hochschulen daran anzuschließen,
  • Sicherheit inkl. regelmäßiger Tests,
  • Barrierefreiheit gem. gesetzlicher Vorgaben,
  • Usability, mobile Apps und Unterstützung unterschiedlicher Geräteklassen.

All diesen Anforderungen ist gemein, dass Einrichtungen, die die Plattformen nutzen, oft zunächst eigene Themen priorisieren müssen und für die Umsetzung der genannten grundlegenden Anforderungen auf die Community setzen. Die Umsetzung der Anforderungen, die am Ende allen Beteiligten dienen, haben dementsprechend einen größeren Aufwand, nicht nur in zeitlicher Hinsicht. Daher braucht es eine Struktur, die gut planbar und möglichst zentral organisiert ist, um mit den aktuellen Bedarfen und Entwicklungen Schritt zu halten.

Das Bündnis der deutschen Open-Source-Communities, hinter dem die Anwendungen Moodle, ILIAS, Stud.IP, Opencast und OERsi stehen, schlägt daher vor, einen Fonds einzurichten, der alle Open-Source-Communities im Hochschulbereich, die kritische Infrastruktur verantworten, fördert. Wir wollen damit eine stabile Basisstruktur schaffen, auf deren Grundlage weiterhin innovative Lösungen für die Lehre und verbesserte Schnittstellen entstehen und gemeinsame Vorhaben (wie die Anbindung an die Nationale Bildungsplattform und das plattformübergreifende Anbieten von OER) zügig umgesetzt werden.

Unser Vorbild ist hier der „Sovereign Tech Fund“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, der im Herbst 2022 mit ersten Pilot­projekten gestartet ist. Zentrales Konstruktionsprinzip: Der Fonds kann aktiv auf Projekte und Communities zugehen und diese nachhaltig fördern. Ein zeitaufwändiges Bewerbungsverfahren seitens dieser Communities entfällt. Gefördert werden genau jene Aufgaben, die die Plattformen dringend umsetzen müssen, die aber ohne die Sicherstellung der Förderung, die der Fonds leistet, zu lange dauern würden. Durch eine längerfristige Planung wird Personal und damit Know-How am hart umkämpften Markt für IT-Fachkräfte gesichert.

Es gibt inzwischen erste erfolgreiche Beispiele dieser innovativen Förderung: Das Land Niedersachsen hat im Rahmen der Initiative Hochschule.digital Niedersachsen gezeigt, wie ein solcher Fonds aussehen könnte. Die Plattformen Moodle, ILIAS und Stud.IP erhielten im Jahr 2022 jeweils eine Fördersumme von 300.000 €, die unbürokratisch nach Priorisierung der jeweiligen Communities als Entwicklungsaufträge vergeben wurden. Projektträger für diese Förderung sind die Leibniz Universität Hannover und die Hochschule Hannover. Von den Aktivitäten profitieren jedoch nicht nur die Bildungseinrichtungen in Niedersachsen, sondern alle Einrichtungen, die diese Plattformen in der Bundesrepublik einsetzen. 

Wir schlagen eine Förderung der einschlägigen offenen Bildungs-Plattformen, die für die Hochschul-Bildungslandschaft von kritischer Bedeutung sind, mit 250.000 € pro Community und Jahr vor. Die Prinzipien des Sovereign Tech Fonds und der erfolgreichen Landesförderung sollen hier vereint werden.
In Frage kommen Open-Source-Communities im Bereich der Hochschulbildung, die eine große Reichweite haben, als kritische Infrastruktur unerlässlich für den Lehrbetrieb sind und nicht wegfallen dürfen. Zudem müssen die Communities alle wichtigen Stakeholder einbinden.

Es stehen alle Bausteine bereit, das Modell eines Fonds für alle wichtigen offenen Bildungsplattformen und einen längeren und damit gut planbaren Zeitraum einzurichten. Entscheidend ist, diese Basis­strukturen länderübergreifend anzusiedeln, da es hier um ein Gemeingut geht, für das zukünftig alle Länder und der Bund gemeinsam einstehen müssen. Nur so kann eine nachhaltige und digital souveräne Infrastruktur für die deutsche Bildungslandschaft dauerhaft und erfolgreich gesichert werden.


Bündnis Open Source Bildungsinfrastruktur

vertreten durch
Cornelis Kater, Initiative Open Source LMS, kater@zqs.uni-hannover.de
Markus Deimann, KNOER,
markus.deimann@ruhr-uni-bochum.de 

Das Bündnis Open Source Bildungsinfrastruktur ist ein Zusammenschluss von:

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Mögliche Teilprojekte


  • Entwickeln von Schnittstellen der Lern- und Content-Plattformen zur Anbindung an den Nationalen Bildungsraum 

Der aktuelle Bildungsraum an staatlichen Hochschulen in Deutschland ist zwar sehr fragmentiert, jedoch strukturell davon geprägt, dass nur wenige Plattformen zur Erstellung, zur Vermittlung und zur Organisation von Lerninhalten genutzt werden. Ebenso ist der überwältigende Anteil der Studierenden und Lehrenden hier aktiv. Die im Bündnis Bildungsinfrastruktur vertretenen Plattformen sind einzeln oder in Kombination an so gut wie jeder staatlichen Hochschule im Einsatz und versorgen mehrere Millionen Studierenden täglich mit Lernmaterialien.

Es liegt also auf der Hand, dass für eine Integration der Hochschulen in den Nationalen Bildungsraum idealerweise diese Plattformen angeschlossen werden müssen bzw. ein gemeinschaftliches Integrationsprojekt einen effizienten Weg darstellt, die Bildungslandschaft mit dem Nationalen Bildungsraum zu verbinden.

Entsprechende Entwicklungsarbeiten können als Teil der hier vorgeschlagenen Basisstruktur für Open Source vorgenommen werden. 

Die Integration kann im Rahmen der hier beteiligten Open Source Communities sowohl mit Blick auf die Lernmanagement-Systeme wie auch die OER-Verzeichnisse gemeinsam vorgenommen werden.

2. Ausbau Repositorien und Schnittstellen OER

Bislang sind nur in einzelnen Bundesländern zentrale Repositorien zur Einlagerung offener Bildungsmaterialien verfügbar (z.B. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, NRW). Um den umfangreichen Potenzialen von OER gerecht zu werden, die u.a. in der OER-Strategie des BMBF oder in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Digitalisierung in Studium und Lehre zum Ausdruck kommen, ist eine möglichst bundesweite und flächendeckende Versorgung mit Repositorien notwendig. Damit wird eine zentrale Voraussetzung für didaktische Innovationen in der Lehre geschaffen, indem z.B. OER-Materialien aus Repositorien direkt in die Kurse der Hochschulen eingebunden bzw. erstellte Lehr- und Lerninhalte aus Kursen in Repositorien hochgeladen werden können. 

3. Austausch von Courseware Kursen zwischen Systemen (LMS, OER-Repositories) 

Über die vergangenen Jahre haben die großen LMS unabhängig voneinander Erweiterungen implementiert, um strukturierte Lerninhalte in Kursen zu erstellen (Courseware). Besonders diese Lerninhalte, die aus Texten, Bildern, Videos, Selbst-Tests und mehr bestehen, eignen sich gut, um als OER-Inhalte ausgetauscht und nach eigenem Bedarf angepasst zu werden. Leider sind diese Inhalte selten zwischen den Systemen unterschiedlicher Anbieter austauschbar und lassen sich auch teilweise aufgrund ihrer Komplexität schlecht in OER-Repositories bereitstellen. Es wäre wünschenswert, die Inhalte in möglichst standardisierte Formate exportieren zu können und diese dann auch in das an der eigenen Hochschule genutzte System importieren zu können. Der Import in die Systeme der eigenen Hochschule ermöglicht einen besseren Datenschutz. Durch standardisierte Formate lässt sich eine Archivierung und auch längerfristige Nutzung besser realisieren. Für OER-Repositories könnte eine statische Ansicht der exportierten Courseware bereitgestellt werden.

Zusätzlich kann auch durch eine bessere Verknüpfung zwischen den Systemen in komplexeren Fällen eine statische und im Zugang standardisierte Bereitstellung für „Gastnutzende“ in allen Plattformen realisiert werden.

4. Einrichtung förderlicher Infrastrukturen für das Onlinezugangsgesetz (OZG)

Analog zur Einbindung der Plattformen in den Nationalen Bildungsraum stellt die hier vorgeschlagene Basisstruktur ebenso eine Grundlage zur Umsetzung aller im Rahmen des OZG nötigen Integrationen bereit. Durch die Konzentration auf jene Plattformen, die an der großen Mehrzahl der Hochschulen eingesetzt werden, kann ein schneller Rollout der so gemeinsam abgestimmten und umgesetzten Integrationen erfolgen.

1 vgl. Umfrage des ZKI-Arbeitskreises Strategie und Organisation zu Softwarelösungen an den Hochschulen 2022, https://zenodo.org/record/7194328#.Y1-_rnbMLD5

2 Dieser Ansatz wird im Kontext des Landesportals für Studium und Lehre in Nordrhein-Westfalen verfolgt. Voraussichtlich Mitte 2023 stehen den öffentlich-rechtlichen Hochschulen in NRW Plug-Ins zur direkten Anbindung zur Verfügung. In Niedersachsen hat das Projekt Twillo die Anbindung zu Stud.IP in 2022 realisiert.

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